Das ehemalige Sklavenhaus auf der Insel Gorée zieht als Gedenkstätte BesucherInnen aus aller Welt an. Warum sich das Gedenken an den transatlantischen Sklavenhandel nur auf die Küsten konzentriert, ist eine politisch brisante Frage.
Auf der Fähre von Dakar zur Insel Gorée. Im Gedränge fallen schick herausgeputzte Senegalesinnen auf, die zielstrebig auf TouristInnen zusteuern. Gerade noch einen Sitzplatz ergattert, setzt sich schon eine hinzu. „Bonjour. Wer seid ihr?“ Zögerliche Antwort. „Ich bin Brigitte Bardot“, lächelt die Schöne, was Verwirrung auslöst. „Kommen Sie mich besuchen auf der Insel“, fügt sie noch hinzu und taucht in der Menge unter. Da sitzt schon die nächste am frei gewordenen Platz. „Hallo, ich bin Naomi Campell, wer seid ihr?“ Erst als Frau Campell sich als Geschäftsfrau vorstellt und explizit zum Besuch ihrer Boutique einlädt, dämmert es. Wie sie klagt, die Konkurrenz auf der Insel sei groß. Da braucht es griffige Namen für die Kundenbindung an Bord. Sie ist schon auf dem Weg zur nächsten potenziellen Kundin, als sich ein Herr umdreht, auf Englisch freundlich grüßt. Er sei aus Dakar. „Habt ihr schon einen Führer für den Besuch auf der Insel?“ In seiner Gruppe seien noch Plätze frei, 5.000 CFA (ca. 7,7 Euro) sei sein Preis.
Diaspora Festival auf der geschichtsträchtigen Insel Gorée. Zum dritten Mal ging im November das Kulturfestival mit Konzerten, einer Filmreihe „Exile und Gedächtnisse“ und einem international besetzten Kolloquium zur Geschichte der Sklaverei über die Bühne. Geht es nach dem Willen des Bürgermeisters der Gemeinde Gorée, Augustin Senghor, soll sich die Insel in den nächsten Jahren zu einem kulturellen Zentrum nicht nur Senegals, sondern des ganzen Kontinents mausern. 1978 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, ist sie untrennbar mit der Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels verknüpft. Ein von 1776 bis 1778 erbautes Sklavenhaus hält heute als Gedenkstätte die Erinnerung an eines der großen Verbrechen der Neuzeit wach. Und an ein die halbe Welt umspannendes Handels- und Ausbeutungssystem, das heute als Beginn der Globalisierung gilt, in dem europäische Handelsgesellschaften, Herrscherhäuser und Kolonisten die treibende Kraft waren.
Wie spätestens auf der Fähre klar wird, geht es neben dem hehren Gedenken aber auch um handfeste Geschäfte, und dies nicht nur für die rührigen Händlerinnen. Heute über ein nationales Monument zu verfügen, das als Gedenkstätte für Sklaverei in den Reiseführern steht, bringt Staaten wie Senegal, Ghana und Benin Prestige und Devisen. Einen „Gedächtnistourismus“ in den ehemals betroffenen Ländern zu entwickeln ist auch eines der Ziele des von der UNESCO 1994 initiierten Projekts „Sklavenroute“, an dem Länder Afrikas, der Karibik und der Amerikas beteiligt sind.
Die Perfidie an der Geschichte: Zu den nationalen Eliten von heute zählen auch Dynastien, die durch den Sklavenhandel reich geworden sind oder von einheimischen Formen der Sklaverei profitierten. Davon liest man auf den Informationstafeln im Sklavenhaus auf Gorée freilich wenig. Die Zusammenhänge des transatlantischen Sklavenhandels mit afrikanischen Formen der Sklaverei sind bis heute ein wenig bearbeitetes Kapitel afrikanischer Geschichtsforschung, bei dem die Emotionen hoch gehen, erklärte Ibrahima Thioub auf einer Konferenz über Sklaverei und Trauma, die 2006 in Trier statt gefunden hat. „Ich sage immer: Woher sind denn die Sklaven gekommen? Sind sie vom Himmel auf die Küsten gefallen?“ Nach Ansicht des senegalesischen Historikers verschleiern die Gedenkstätten an den Küsten Westafrikas – wie Gorée in Senegal, Elmina und Cape Coast in Ghana oder Ouidah in Benin – die Rolle vorkolonialer Staaten wie Futa Jallon, Asante und Abomey als Drehscheiben des Sklavenhandels. Und sie ignorieren, was sich im Inneren des Kontinents abgespielt hat, im heutigen Burkina Faso, Tschad oder Niger, wo ein Großteil der Opfer herkam. Bei Anbruch der französischen und britischen Kolonisation, schreibt Dominic Johnson von der Berliner Tageszeitung taz, war im Sahelgürtel von Mauretanien bis Sudan die Mehrheit der Bevölkerung Eigentum der wenigen reichen und anerkannten Familien und Clans.
Um die offiziellen Gedenkstätten für Sklaverei ist ein regelrechter Historikerstreit unter afrikanischen GeschichtswissenschaftlerInnen in Gang. Die Frage ist ein Politikum. Unbestritten ist, dass der transatlantische Sklavenhandel entscheidend zur Unterentwicklung und Marginalisierung Afrikas beigetragen hat. Doch war Afrika ausschließlich Opfer? Welche Rolle spielten die Eliten von damals? Darüber wird auf Tagungen und Kongressen heiß debattiert. Um diese Fragen zu beantworten, hält Thioub es für notwendig, gründlicher über einheimische Formen der Sklaverei zu forschen. Ihr Gewicht im Alltagsleben steht für ihn außer Zweifel. Die nationalistisch geprägte afrikanische Geschichtswissenschaft nach der Unabhängigkeit hat dies verabsäumt, wie er feststellt. Ihr ging es hauptsächlich darum, eine glorreiche Vergangenheit zu konstruieren. Sie schrieb eine Geschichte der Eliten: Eine, die sich erst auf arabische Quellen, dann auf die nach der Unabhängigkeit rehabilitierte Tradition der Dynastien stützt. Und sie tendierte dazu, so Thioub, den sozialen Diskurs einheimischer Eliten für bare Münze zu nehmen, wenn sie soziale Hierarchien und Unterdrückung innerhalb afrikanischer Gesellschaften verharmlosen oder herunter spielen.
„Hallo Schwester, ich hab dich gesucht. Komm rein und sieh dir meine Sachen an.“ Für Naomi Campell und die anderen Händlerinnen sind Diaspora Festival und Gedächtnistourismus auf die Insel eine Chance. Doch die Geschichte des Sklavenhandels reicht tiefer, als sie sich hier präsentiert.